Jeder kennt sie: Die Bilder von dünnen Kindern aus Afrika, die einen mit großen Augen ansehen. Daneben die Aufforderung doch für eine Hilfsorganisation zu spenden. Die Botschaft: Wenn du nicht hilfst, leiden sie. Wenn du hilfst, verbessert sich ihre Lage. Keine besonders rationale Argumentation, sondern das Entwerfen einer personalisierten Handlung, einer emotionalen Story. Daniel Häfner, Kulturwissenschaftler und selbst u.a. bei Kampagnen von Robin Wood aktiv, gibt auf der LiMA Einblick, wie Storytelling funktioniert.
Klar ist dabei: Ohne Geschichten lässt es sich kaum leben. Der Grund dafür: Wir können nicht alles selbst erleben. Also braucht es die Erfahrungen der anderen, die uns per Kommunikation übermittelt werden. Geschichten können zur Unterhaltung oder Wissensvermittlung dienen. In der politischen Arbeit will man dagegen knallhart Aufmerksamkeit und Unterstützung gewinnen.
Storytelling umfasst einen einfachen Vorgang: Eine Hauptfigur überwindet etwas, um ein Ziel zu erreichen. Entweder aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer. Zuweilen muss man auch sich selbst überwinden, gerne gibt es aber einen Gegner, wie zum Beispiel einen multinationalen Konzern, der Palmwälder abholzt und eine kleine Aktivistengruppe, die dann einen solchen Riesen in die Knie zwingt – was für eine tolle Story! Wie eine antike oder biblische Sage.
Aber wo liegen die Grenzen? Häfner verteilt Material. Ein Text der Online-Kampagnenplattform Avaaz beginnt unmittelbar mit dem Satz: Ein Baby stirbt in den Armen seiner Mutter in einem chaotischen Krankenhaus. Daran schließt der eigentliche Inhalt an, nämlich das Problem der erhöhten Kindersterblichkeit in Griechenland durch die aktuelle Sparpolitik. Ist das nicht zu reißerisch und verschreckt viele Leute? Vielleicht, aber für Häfner ist klar: Im Infotsunami der heutigen Medienwelt hat man nur wenig Zeit, Aufmerksamkeit zu erlangen. Je größer die Zielgruppe, desto generischer muss der Aufhänger, je spezieller das Publikum, desto genauer muss die Story austariert sein.
Nicht fehlen darf beim Thema Storytelling natürlich das bekannte, maßgeblich vom Mythenforscher Joseph Campbell herausgearbeitete Muster der „Heldenreise“. Ein Schritt der in zig Filmen verwendeten Abfolge von Handlungsstationen ist die „entscheidende Prüfung“, bei der sich der Held dem Gegner stellt und ihn überwindet. Erfolgreiches Crowdfunding und Co., so Häfner, beruhten dabei genau darauf, diesen Punkt zu treffen. Etwa: Wir brauchen innerhalb von 24 Stunden noch so und so viel Unterstützer, um gegen einen Braunkohlekonzern zu protestieren. Der Crowdfunder bzw. die Crowdfounderin wird so Teil der Geschichte und kann dem Helden im entscheidenden Moment mithelfen, sein Ziel zu erreichen – naja, oder halt auch nicht.