von Maximilian Staude
Die Politikforschung zeigt: Der AFD-Wähler fühlt sich gleichzeitig als „schweigende Mehrheit“ und als Außenseiter.
Trotz aller Skandale um Personal und Inhalte – die Alternative für Deutschland (AfD) hat es innerhalb weniger Jahre geschafft, sich in der Parteienlandschaft Deutschlands zu verankern. Nur noch der Einzug in den Deutschen Bundestag steht aus. Den haben vergleichbare Parteien in die Parlamente anderer europäischer Länder schon geschafft.
Grund genug für die SPD-nahe „Akademie für Soziale Demokratie“ Ende Oktober zu einer Abendveranstaltung mit dem Titel „Grundwerte in Zeiten des Rechtspopulismus – was tun?“ in die Räumlichkeiten der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn einzuladen.
Moderatorin Elisa Gutsche, Referentin SPD-Bundestagsfraktion, bekennt sich gleich zum Anfang zu ihrer sächsischen Herkunft: „Wenn ich Nachrichten über Proteste über Flüchtlinge höre, höre ich Nachrichten aus meiner Heimat“. Aufgrund des krankheitsbedingten Ausfalls einer eingeladenen Expertin füllt vor allem Marcel Lewandowsky die Veranstaltung inhaltlich. Der Politikforscher von der Universität der Bundeswehr in Hamburg fängt vom Allgemeinen an und arbeitet sich in die Details vor:
Der parteiförmige Populismus, sagt er, behaupte eigentlich gar nicht, parteiförmig zu sein, sondern „für das ganze Volk“ zu sprechen. Der Begriff der Volkssouveränität wird hier mit antipluralistischer Stoßrichtung überhöht. Das Feindbild stellt dann eine vermeintlich „unfähige, korrupte Führungskaste“ dar, die das „Volk“ verrate.
Diese „Anti-Establishment“-Ausrichtung, so Lewandowsky, sehe man auch bei linken populistischen Bewegungen wie in Südamerika. Der Rechtspopulismus zeichne sich durch eine zusätzliche Ablehnung des „Fremden“ aus.
Eine kulturelle Identität des Volkes werde postuliert, die es zu verteidigen gelte. Die Politikwissenschaft sieht in diesem „Paradigma der Natürlichkeit“ eine Gemeinsamkeit von Rechtspopulismus und Rechtextremismus. Im Weiterhin gehe die Ideologie von einer Absolutheit der Werte ab. Als rigider Maßstab werden dieser dann insbesondere an „Fremde“ angelegt.
Das Grundgesetz (GG) als Basis der liberalen Demokratie erlaube allerdings gerade Diskussionen um seine Auslegung. Bei wenigen Festschreibungen (Menschenwürde) seien so viele Aussagen des GG dem Zeitgeist unterworfen, wie zum Beispiel die Frage, was unter dem „besonderen Schutz der Ehe“ zu verstehen sei. Entsprechend steht für Lewandowsky der Rechtspopulismus mindesten im Spannungsverhältnis zur Offenheit des GG.
Moderatorin Gutsche wirft ein, dass die sozial benachteiligten Wähler der AFD wohl nicht das Parteiprogramm lesen würden, in dem zum Beispiel die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen werde. Würden hier nicht die Schafe zum Wolfe rennen? Handle es sich bei den Erfolgen des Rechtspopulismus um eine verspätete Reaktion auf die neoliberalen Umbauten? Würden sich dann infolge der zugespitzten Flüchtlingssituation nicht mehr Menschen fragen: „Wo bleibe ich?“
Lewandowksy betonte, dass die Anhängerschaft der AfD weitaus diversifizierter sei als langläufig angenommen. Personen mit einem geschlossenen rechten Weltbild wählten häufiger AfD als Personen ohne ein solches Bild, aber insgesamt gesehen stellten diese nur einen Teil der Wählerschaft. Das Gleiche gelte für die vielzitierten Protestwähler.
Soziokulturell gesehen, zeichne sich die AfD durch eine „unsichtbare Wählerkoalition“ aus Modernisierungsverlierern, Menschen aus der Mittelschicht, die den sozialen Abstieg fürchteten sowie gut situieren Personen mit zum Teil neoliberalen Ansichten aus. Letztere Gruppe hätte Angst vor Verteilungskämpfen mit den anderen Gruppen.
Der gemeinsame Nenner, so der Hamburger Forscher, liege im Habitus. Das AfD-Elektorat fühle sich nicht nur ökonomisch, sondern vor allem politisch abgehängt. Themen wie „Flüchtlinge“ oder Islam seien „nur“ ein Vehikel für das tiefere Gefühl der Ablehnung der etablierten Politik. Die AfD greife Menschen als einzige Partei dieses Gefühl glaubwürdig auf. Die etablierten Parteien könnten dies von sich schlicht nicht, weil es lächerlich wirken würde – mit Ausnahme der CSU, wie Gutsche gleich einwirft.
Doch was tun gegen die Virulenz des Rechtspopulismus, die sich in vielen anderen europäischen Ländern beobachten lässt?
Die bisherige Strategie der Stigmatisierung ist aus Lewandowskys Sicht wenig erfolgversprechend. Dadurch würde die Außenseiterrolle der AfD, von der die Partei eben genau profitiere, gestärkt. Außerdem sei im Zeitalter der Sozialen Medien ein Ausschluss aus einer Fernsehrunde eh wirkungslos, da die Nachricht sogleich über Facebook und Co. ihre Wellen schlagen würde.
Gleichsam kontraproduktiv sei aber auch die Imitierung von rechtspopulistischen Inhalten durch sozialdemokratische Parteien gewesen, wie es beispielsweise die SPÖ in Österreich versucht hätte. Die daraus folgenden internen Konflikte schwächten die linken Parteien.
Aber wie weit könne man auf Stigmatisierung verzichten, ohne seine eigenen Werte zu verraten? Diese Frage stellte Gutsche in den Raum.
Lewandowsky verwies auf eine Diskussionsrunde von Volker Beck (Grüne, vor dessen Drogenaffäre) und Frauke Petry (AfD) im Februar dieses Jahres. Anstelle moralischer Vorwürfe habe Beck die Äußerungen von Petry zum Schießbefehl auf Flüchtlinge ruhig und juristisch auseinander genommen.
Die Konzepte der AfD seien eben nicht durchdacht, widersprüchlich und das Führungspersonal politisch unprofessionell.
Bei der anschließenden Publikumsrunde fiel schließlich noch der wiederholte Bezug zum Sozialabbau im letzten Jahrzehnt auf. Der Glaubwürdigkeitsverlust, den insbesondere die SPD dadurch erlitt, sitzt offenbar weiterhin tief im politisch interessierten Publikum.
„Wir brauchen mehr Gerechtigkeit“, stellte dann auch Bernd Wede vom DGB Kreisverband Bonn/Rhein-Sieg fest. In Bonn lebten 20 Prozent aller Kinder in einem Haushalt mit mindestens einem Hartz-IV Empfänger – gleichzeitig liege der statistische Einkommensschnitt in der Stadt aber bei immerhin 60.000 Euro.
Lewandowsky versuchte sich am Ende in Optimismus: Wenn die etablierten Parteien wegen der AfD wieder eine „bessere Politik“ machten, sei immerhin etwas gewonnen.
Vom 3. bis 7. April 2017 wird sich die nächste LiMA dem Thema #Polarisierung widmen.