Kritisch – solidarisch – unabhängig. Die kollektive Auslandsredaktion der LATEINAMERIKANACHRICHTEN (LN) berichtet seit über 40 Jahre über aktuelle Entwicklungen in Lateinamerika. LiMA sprach mit Claudia Fix und Jan Hennies vom Redaktionskollektiv über das Verhältnis von Medien, Macht und (alternativer) Auslandsberichterstattung zu Lateinamerika und über ihren Workshop am 26. März auf der #LiMA15.
Hallo Claudia, Hallo Jan,
euer Kurs auf der #LiMA15 heißt „Alternative Auslandsberichterstattung aus Lateinamerika – Mainstream-Medien und kollektive Auslandsredaktion der Lateinamerika Nachrichten“. Was versteht ihr eigentlich unter alternativer Auslandsberichterstattung? Und was ist der alternative Aspekt an den Lateinamerika Nachrichten?
Kritisch, solidarisch und unabhängig über Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft in Lateinamerika zu berichten – das verstehen wir unter alternativer Auslandsberichterstattung. Kritisch gegenüber jeder Regierungspolitik – auch gegenüber linken und progressiven Regierungen oder gegenüber der deutschen Lateinamerika-Politik. Solidarisch mit politischen Bewegungen „von unten“, die sich für die Verwirklichung der Menschenrechte in allen Bereichen einsetzen. Und unabhängig von hiesiger Parteipolitik oder großen Anzeigenkunden.
Alternativ ist auch unser Redaktionsmodell: Wir alle, zwischen 15 und 25 Redaktionsmitglieder, arbeiten ehrenamtlich und als Kollektiv, um die Zeitschrift zehnmal im Jahr herauszubringen. Es gibt nur eine bezahlte Stelle im Büro, zum Beispiel für die Verwaltung der Abonnements und die vielen kleinen organisatorischen Aufgaben, die eine feste Struktur brauchen. Unsere Redaktionssitzungen sind immer offen für alle, die sich dafür interessieren. Es gibt wechselnde Heftleitungen, aber keine Chefredakteur*innen.
Wie funktioniert eure Arbeit in der Praxis? Ihr könnt doch sicherlich nicht auf ein KorrespondentInnen-Netzwerk zurückgreifen, wie es die großen „Mainstream-Medien“ tun?
Im Gegenteil – durch über 40 Jahre kritischen Journalismus haben die LN inzwischen ein weitreichendes Korrespondent*innen-Netzwerk in fast alle Länder Lateinamerikas. Und auch in unserer Berliner Redaktion finden sich unterschiedliche Spezialist*innen zu den meisten Themen und Gebieten, so dass wir immer wieder neueste Entwicklungen mitbekommen und schnell vor Ort nachfragen und recherchieren können. Gleichzeitig bekommen wir für jede Ausgabe Textangebote von anderen freien Autor*innen, die für uns unentgeltlich schreiben, weil sie unser politisches Anliegen teilen.
Bei den meisten großen Tageszeitungen hingegen decken wenige Redakteur*innen viele Länder und Themen ab, da die Berichterstattung zu Lateinamerika keine Priorität hat. Und bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten müssen für die ARD beispielsweise 2 bis 3 Korrespondent*innen in Mexiko-Stadt fast zwanzig Länder bearbeiten. Wir haben also mehr spezialisierte Mitarbeiter*innen, die Spanisch und oder Portugiesisch sprechen und dazu Kontakte aus jahrelanger Arbeit haben. Als Monatszeitschrift können wir so unseren Anspruch auf Berichterstattung mit viel Hintergrund erfüllen.
Ihr seid beide RedakteurInnen bei den Lateinamerika Nachrichten, einer Zeitschrift, die schon seit über 40 Jahren existiert. In welchem Kontext ist sie entstanden? Hat die LN von heute noch etwas gemeinsam mit der Zeitschrift aus den Anfangsjahren?
Noch wenige Wochen vor dem Putsch gegen Salvador Allende, im Sommer 1973, wurden die LN innerhalb der deutschen Chile-Solidaritätsbewegung gegründet – damals noch als Chile-Nachrichten. Während der folgenden Diktatur in Chile verfolgte die Zeitschrift engagiert? ihr Ziel der alternativen Berichterstattung und deckte dabei ein immer größeres Themenspektrum ab. Die Umbenennung in Lateinamerika-Nachrichten 1977 folgte dieser Entwicklung und seitdem konnte die LN ununterbrochen erscheinen. Ob WM 1978 in Argentinien unter der Militärdiktatur oder der Aufstand der Zapatisten in Chiapas, Mexiko 1994 – die LN waren eine verlässliche Informationsquelle für Abonnent*innen weltweit. Zur 500. Ausgabe fehlt nicht mehr viel! Und auch wenn seit 1977 das Layout mehrmals erneuert wurde und das Redaktionskollektiv sich stetig verändert, arbeiten wir auch heute mit dem Anspruch, einen kritischen Blick auf sonst oft wenig beachtete Themen zu werfen. Das würdigen auch unsere Leser*innen: Trotz der allgemein harten Zeiten für den Print-Journalismus ist die LN bis heute finanziell unabhängig.
Der Begriff „Lateinamerika“ bezeichnet einen geographisch riesigen Raum mit großen Unterschieden in Kultur, Gesellschaft und Geschichte. Gibt es in eurer Berichterstattung Schwerpunkte, was Themenauswahl und Länder angeht? Ist es überhaupt möglich, alle Regionen gleichmäßig abzudecken?
Über alle Regionen gleichmäßig zu berichten, ist leider auch für uns schwierig – manchmal auch unmöglich. Sehr gut ausgestattet sind wir mit Korrespondent*innen und Fachredakteur*innen zu Mexiko und Brasilien, zu Zentralamerika gibt es schon weniger. Dann haben wir eher selten Berichterstattung zu den Ländern der Karibik, am ehesten noch zu Jamaika. Und zu Französisch-Guayana gibt es sicher nicht mehr als eine Handvoll Artikel in zehn Jahren.
Schwierig ist das dann, wenn wichtige Entwicklungen stattfinden, wie 2012 der Putsch in Paraguay. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir niemanden, der vor Ort war. Wir haben dann drei Wochen gebraucht, bis wir den Kontakt zu einer Journalistin in Paraguay hergestellt hatten, die für uns qualifiziert berichten konnte. Denn wir können ja nicht einfach Artikel „einkaufen“.
Nun zu eurem Kurs auf der #LiMA15! Was erwartet unsere TeilnehmerInnen bei euch?
Einerseits werfen wir einen kritischen Blick auf die Strukturen und Inhalte klassischer Berichterstattung zu Lateinamerika. Wie sehen die Korrespondent*innen-Netzwerke aus? Welche Erfahrungen haben ehemalige Korrespondent*innen gemacht? Welche Quellen werden genutzt und welche Bilder finden sich in der Berichterstattung immer wieder? Dazu beschäftigen wir uns sowohl mit Daten und Nachrichtenströmen als auch mit der Analyse konkreter Medienbeispiele. Daneben steht die Frage, was alternative Berichterstattung zu Lateinamerika eigentlich ist, was sie leisten soll und kann und weshalb wir es für nötig erachten, die Lateinamerika Nachrichten Monat für Monat ehrenamtlich herauszugeben. Abschließend werden wir mit den Teilnehmenden die LN genauer unter die Lupe nehmen und freuen wir uns auf Input, wie auch wir uns als Zeitschrift weiter verbessern können!
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg für eure Arbeit!
Interesse geweckt? Online weiterlesen auf www.lateinamerikanachrichten.de
Mehr Infos zum Workshop auf der #LiMA15 gibts hier!