ein Aufruf von den Kameradistinnen zur Unterstützung der Crowdfunding Kampagne
„Das ist unser Haus!“
Vergangenen Samstag habe ich, Mark, in Potsdam ein Fest im Projekthaus „Inwole“ besucht. Ich lief da ganz nachdenklich herum. Es regnete in Strömen und Niemanden störte es. Unter einem hohen Baum mit einer gewaltigen Krone waren Zelte gespannt. Unzählige Kinder quirlten durch eine Hüpfburg. Ein ganzer Fuhrpark von Bobby-Cars zerfuhr den nassen Rasen zu unpassierbarem Schlamm. Wer wollte, durfte die Wände der Häuser mit Kreide anmalen. Es gab massenweise Kuchen, Bier, Brause, Kaffee, Schnaps und vegane Experimente. Eine Gruppe Syrer verteilte Rosen zur Mahnung an die Lage der syrischen Frauen. Die Töpferei lud zum Töpfern ein, die Schmiede zum Schmieden. Am Bücherstand wurde über Bukowski gestritten. Es ging um alles. Irgendwer übte im Konzertsaal zwischen umkämpften Kickertischen elektrische Gitarre und die Leute klatschten zwischen den Stücken. Alle ließen alle leben und niemand lies irgendwen im Stich. Da wurde mir klar, dass ich in einem Film stand.
Nicht in meinem Film und nicht in einem meiner Gruppe, der Kameradistinnen. Sondern ich stand mitten im dem geplanten Film über das „Miethaussyndikat“ von Lauinger, Kunle und Grießenauer. Sie werben derzeit auf Startnext um Unterstützung. Und weil ich in einem Film stand und natürlich nicht im Bild stehen wollte, musste ich wohl die Kamera übernehmen. Ich hielt meine Hände mit den Daumen und den
Zeigefingern zueinander versetzt, so dass sie vor meinem Gesicht ein Guckloch im 16:9 – Format ergaben. Filmfuzzis machen so was öfter.
Durch mein 16:9-Guckloch schlug der Regen dolle Böen und eine Gruppe von patschnassen Kindern floh in das Märchenzelt. Der Ton war großartig. Die Kleinen im Zelt diskutierten laut und deutlich, was sie
der alte Plattenspieler im Zelt nun für sie tun sollte: Rotkäppchen spielen oder Rapunzel? Meine Fingerkamera schwenkte vom Märchenzelt langsam über feiernde und lachende Menschen und dann über die wilde Hecke am Westrand des Geländes bis dort eine große Lücke im Bewuchs
den Blick frei gab auf die Welt jenseits des Grundstückes. Dort draußen protzen graue dreistöckige Bauhausvillen mit jeder Menge_understatement_. Entlang des klinisch sauberen Gehweges geparkte
Nobelkarossen verloren an Wiederverkaufswert. Hinter einem riesigen Fenster flackerte ein fast ebenso großer Fernsehbildschirm. Irgendwas lief mit sehr, sehr vielen Explosionen. Heimkino allein zu Haus. Weiter reichte meine Finger-Kamera natürlich nicht. Aber ich wusste, hinter dem Nobelviertel am Griebnitzsee kommt die Babelsberger Altstadt und dahinter dann die Plattenbauten und das Westviertel und dann der Wald und dann viele weitere Städte und die gewöhnliche Welt, in der die Mieten explodieren und ganze Stadtviertel gentrifiziert werden. Ich schwenkte meine Hände zurück auf das Projektgelände und kam zum Stehen auf dem neuen Wohnhaus für 10 Familien, die ihre Miete selber
festsetzen und solidarisch miteinander leben. Vor dem Haus klaffte ein Trichter in der Erde, der sich mit Wasser gefüllt hatte. Zwei Jugendliche standen dort bis zu den Knien drin und spielten mit einem
riesigen Gummiwürfel Wasserball. Hier ist alles anders, dachte ich. Alles ist hier nicht gewöhnlich, dachte ich. Ich schaltete die Fingerkamera ab. Es ist ja nicht mein Film, dachte ich. Aber es ist ein Film, den es geben muss.
Der Film über das „Miethaussyndikat“ von Lauinger, Kunle und Grießenauer trägt den Arbeitstitel „Das ist unser Haus“ – nach der Zeile aus dem Refrain des Rauchhaussongs von Ton Steine Scherben. Das Crowdfunding bei Startnext steht bei 40 Prozent und es bleibt nur ein knapper Monat, um die Zielsumme zu erreichen. Das ist knapp aber absolut machbar. Es muss nur gelingen auf der Zielgeraden genug Menschen zu erreichen und zu überzeugen.
Das Potsdamer Projekthaus hat schon neunundneunzig Geschwister überall im Land. Sie alle sind Teil eines losen Finanzierungsnetzwerkes, des „Miethaussyndikates“. Kaum jemand weiß besonders viel über die Organisation – doch ihre alternativen Wohnprojekte wachsen wie kleine Korallenriffe im grauen, bürgerlichen Meer. Bewohnte Inseln sind sie. Freundliche Orte, Gegenwelten und zugleich eine Revolution der kleinen Schritte. Wie die zapatistische Schnecke arbeiten sie von innen nach außen und übernehmen Räume, die dann nicht mehr der kapitalistischen Verwertungslogik unterliegen. Es geht nicht nur ums Wohnen, es geht um eine andere Art, zu leben und zu arbeiten. Fast jedes Projekt hat eigene Seminarräume, Werkstätten, ist Veranstalter für linke Kongresse, ist in politischen Protest involviert.
Alle linke Welt redet über Gentrifizierung und darüber, dass Wohnen kein Geschäft sein darf aber der Film „Das ist unser Haus“ steht bei 40 Prozent. Wie kann das sein? Es dürfte doch evident sein, dass
ein Film wie dieser aus privater und öffentlicher Filmförderung keinen Cent erwarten kann.
Der Regen platschte dick und dicker und im Märchenzelt lief nun doch Rapunzel, weil Rotkäppchen „voll doof“ ist, erfuhr ich. Ich dachte an einen der ersten Filme, die ich von Lauinger und Kunle jemals gesehen
habe.
In ihrem Film „Neuland“ gibt es eine Szene, in der ein langer Zug aus einem ländlichen Bahnhof ausfährt. Kunles Kamera nimmt eine Naheinstellung des Zuges, zeigt lackiertes Blech, Fensterglas, rotierende Räder, die sich mit der Beschleunigung in flackernde Farben auflösen, die die Sicht behindern. Der endlose Zug verstellt den Blick auf das, was hinter ihm liegt, bis er endlich heraus ist aus dem Bahnhof
und der letzte Wagon, schnell wie ein Schnitt aus dem Bild fährt und den Blick frei gibt auf den Bahnsteig und das neue Land dahinter, das „Neuland“ des Ostens, das der BRD zufiel und nun zerfällt. Dort wo
der Zug den Blick verstellte, verrottet und verrostet ein Fabrikgelände. Nur wenige Beine laufen durch das Bild des Bahnsteiges. Kaum einer ist hier ausgestiegen. Warum auch. Hier gibt es nichts mehr.
Es gab nur den langen Zug und der zog weiter. In einer einzigen Einstellung ohne Schnitt steckte bereits der ganze Film. Ich denke überhaupt oft an diese Szene. Ich habe versucht, sie nachzumachen, ihr
gleich zu kommen, wenn ich selbst filmte.
Wieviel großartige Szenen wird es in diesem neuen Film geben? Wie wirkungsvoll kann er sein für die politische Debatte um selbstbestimmte Räume. Ein Film – sagen Leute, die so was studiert haben, kommt dem Träumen am nächsten, das Ansehen eines Filmes ähnelt dem persönlichen Erleben. Hierin liegt die politische Macht von Filmen. Aufklärung oder Brainwashing, Aktivierung von Mut, Liebe und Hoffnung
oder Verblödung. Das eine oder das andere. Soviel banaler, simplifizierender, gewaltverherrlichender Doku-Scheiß flimmert täglich über die Bildschirme, hochbezahlt und vollkommen nutzlos für eine
bessere linke Zukunft und „Das ist unser Haus“ steht erst bei 40 Prozent und achtundzwanzig Tage sind verdammt wenig Zeit. Aber immer noch genug. Genug Zeit für eine Welle der Unterstützung.
Bei einem Film-Crowdfunding, das meine eigene Gruppe (Kameradistinnen) vor ein paar Jahren mal auf Inkubato durchführte, sah die Sache ähnlich aus. Am Ende hatten wir aber doch Erfolg. Die Spendenkurve stieg in den letzten Tagen stark an. Immer mehr Menschen gaben kleine
Summen und erzählten anderen Menschen im Netz oder am Kneipentisch von unserem Projekt, die dann wiederum spendeten und Informationen weitergaben. In Leipzig organisierte eine Frau sogar eine
Geburtstagsparty bei der sie sich statt Geschenke für sich selbst, Spenden an uns wünschte. Am Stichtag standen wir dann bei 104 Prozent Finanzierung, drehten durch und gingen drehen. Vermutlich gab es einen einfachen Grund für den Erfolg. Zum Ende unserer kleinen Kampagne nämlich warben nicht länger wir selbst allein um Mittel für unseren Film, sondern zunehmend andere Menschen, Leute, die wir nicht kannten und auch später nie trafen. Andere machten sich zu Fürsprecher*innen unseres Projektes und das überzeugte vermutlich mehr, als wenn wir selbst für unser eigenes Projekt warben.
Wir Kameradistinnen machen uns hiermit zum Fürsprecher des Projektes „Das ist unser Haus“. Wir haben schon gespendet und wir laden euch alle ein, es auch zu tun und euch dann in Fürsprecher*innen zu
verwandeln. Sagt es allen weiter! Sagt Ihnen: „Das ist unser Film.“ Denn wir alle gemeinsam entscheiden, dass es diesen Film geben wird.
Danke!
Mark Wagner vom Berliner Filmkollektiv der Kameradistinnen
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