von Maximilian Staude
Nachdem es in den letzten Wochen um die vielzitierte „Griechenlandkrise“ etwas ruhiger geworden war, steht die Europäische Union seit kurzem wiederum im medialen Fokus. Die Zunahme der Flüchtlingsströme verursacht eine bisweilen chaotische Gemengelage – Dauerkrise nicht ausgeschlossen.
Welche Rolle spielen nun eigentlich die (nationalen) Medien in dieser Gemengelage? Können sie die Bildung einer Europäischen Öffentlichkeit befördern? Darüber wurde am Dienstabend in Berlin im Rahmen der gemeinsamen Gesprächsreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung e.V. und des Deutschen Pressemuseums engagiert diskutiert.
Prominentester Podiumsteilnehmer war zweifelsohne Rolf-Dieter Krause, der seit 15 Jahren das ARD-Studio in Brüssel leitet und damit den Zusehern der „Tagesschau“ ein bekanntes Gesicht sein dürfte. Doch genau darum entspannte sich die erste Kontroverse des Abend.
„Meine Kinder wissen nicht mehr, was Fernsehen ist“, rief Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Europäische Demokratie, in die Runde. Multilinguale Online-Portale wie Euronews, EurActiv, Youtube und natürlich das Smartphone an sich würden die „alten Medien“ (Zeitungen, Fernsehen) ersetzen. In jungen Medien gäbe es eine junge, europäische Öffentlichkeit. Laut den Entwicklern bei Google werde, so berichtete Guérot, es in 15 Jahren möglich sein, live, ohne Verzögerung, simultan zu übersetzen.
„Unrecherchiertes Zeug“ breitgetreten
Krause zeigte sich davon unbeeindruckt. Wenn seine Tochter ihn auf Blogbeiträge im Internet hinweise, sei er oft erstaunt, welch „unrecherchiertes Zeug“ dort breitgetreten werde. EurActiv werde im Übrigen von der EU-Kommission mitfinanziert – die ARD als „Bürgerfunk“ sei da etwas völlig Anderes.
Als Guérot dann für Bildung anstatt Ausbildung plädierte, damit nicht, wie in der Griechenlandkrise, die boulevardeske Berichterstattung dominiere, beharrte Krause auf dem „Recht auf Dummheit“: „Ich kann niemanden zwingen ARD statt RTL zu schauen!“ Er selbst würde niemals von „faulen Griechen“ reden, fügte der ARD-Korrespondent an. Was sich andererseits die linke griechische Regierung an Waghalsigkeiten geleistet habe… Guérot hielt dem ein aus ihrer Sicht „arrogantes“ Verhalten auch von öffentlich-rechtlichen Journalisten gegenüber griechischen Politiker entgegen.
Anschließend stritten sich beide noch über die Ursache der Griechenlandkrise (Krause: Wenn wir Regeln nicht einhalten, kracht das Ganze zusammen“, Guérot: „Regeln anpassen, wenn sich nicht mehr funktionieren, ist Politik“).
Diskussionsmoderator Kay Walter griff mehrmals beherzt ein, damit auch die beiden anderen Gäste zu Wort kommen konnten.
Der Schweizer Medienwissenschaftler Jens Lucht unterfütterte das Thema mit empirischen Untersuchungen von Pressepublikationen. Nach dem Ende des Kalten Krieges wären anstelle des vorherigen Wir-Begriffes vom „Westen“ verstärkt europäische Wir-Bezüge getreten – allerdings paradoxerweise mit einer Renationalisierung.
Öffentlicher Diskurs beginnt immer noch bei „alten“ Medien
Auswertungen von Facebook-Postings hätten außerdem gezeigt, dass hier vor allem „Soft-News“ oder Artikel etablierter Medien wie Spiegel-Online geteilt würden. Insofern beginne der, zweifelsohne fragmentierte, politisch-öffentliche Diskurs immer noch bei den „alten“ Medien.
Ohnehin wäre die Qualitätsfrage letztlich entscheidend. Es sei katastrophal, dass die am meisten verbreiteste „Zeitung“ der Schweiz ein Gratis-Boulevard-Blatt sei, das rechtspopulistischen Parteien viel Raum einräume. Entsprechend falle dann die Berichterstattung zu europäischen Themen aus. Viele Medienmanager würden als Antwort auf die wirtschaftlichen Probleme ihren Publikationen leider Verkürzung und „Empörungsbewirtschaftung“ verordnen.
Maria Topali, Schriftstellerin und Mitarbeiterin am Zentrum für Sozialforschung in Athen, bekannte, sich über die Krise in ihrem Land primär aus deutschen Medien informiert zu haben. Neben Fehlern bei Namen und Daten habe sie sich aber gerade bei den bürgerlichen Medien wie der FAZ über die Gehässigkeit erschrocken. „Griechenland wurde als Entwicklungsland dargestellt“, in dem nichts funktioniere, beklagte sie. Dabei sei das Land bereits seit über 30 Jahren EU-Mitglied.
In Griechenland selbst sehe es aber nicht besser aus. Politik und Medien hätten dort gleichermaßen an Glaubwürdigkeit verloren und die Menschen sich lieber aus obskuren Blogs informiert. Ob es je eine europäische Öffentlichkeit gäbe, wisse sie nicht – aber es bräuchte eine. „Die aggressiven Medien beider Seiten kommunizieren wirklich gut“ und fütterten sich gegenseitig, stellte sie pointiert fest. Topali plädierte für einen europaweit einheitlichen Geschichts- und Kulturunterricht, um hier gegen zu halten.
„Was ich mir wünsche ist, dass wir andere Perspektiven zeigen“, sagte Krause angesichts der nationalen Brille der Berichterstattung auch seiner Redaktion. Leider würden ausländische Politiker die Journalisten anderer Nationen meiden und, wenn überhaupt, dort nur in Talkshows auftreten. Schließlich müssten sie sich ja nicht vor deren Bevölkerungen legitimieren. Auch Yanis Varoufakis sei während seiner Amtszeit da keine Ausnahme gewesen. Mit mehr Demokratie auf europäischer Ebene ließe sich genau dies ändern, schlug Lucht dahingehend vor.
Einig war sich die Runder abschließend in einer Sache: Dass ganze Europa den Namen eines griechischen Finanzministers kannte, sei zumindest als ein Zeichen für die Existenz einer europäische Öffentlichkeit zu werten.
Informationen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Veranstaltung: http://fes.de/medienpolitik/alles-durch-die-nationale-brille.php
Titelbild: FES