Bild:“Cap“, Digitalfotografie, Nel Fragner – 2015
Der Blick der Kamera wird von den Augen erwidert, Körperhaltung und Gesichtsausdruck vermitteln Zurückhaltung, vielleicht Misstrauen. Die Figur ist verwischt, der Gesichtsausdruck aber signalisiert Interesse.
So lautet die Selbstauskunft von Nel Fragner zu einer Ihrer* eigenen queeren Fotografien. Fotograf*in und Kulturarbeiter*in Nel Fragner bietet bei unserem diesjährigen Medienkongress #Gendermania? die Workshops „Gequeerte Portraitfotografie“ und „A-space-to-dream – Queere Anti-Utopien“ an. Um mehr über Nel’s Anliegen und Arbeit zu erfahren, haben wir im Vorfeld ein Interview mit Ihr* geführt. Auf den Vorschlag von Nel Fragner haben wir das Interview per Du geführt.
Du veröffentlichst einige Texte und vor allem Fotografien auf deinen Blog. Worum geht es dir beim Fotografieren?
Beim Portraitfotografieren geht es mir darum, Spielräume zu öffnen. Wir alle lernen, uns auf bestimmte Art zu präsentieren, damit wir Anklang finden. Beim Fotografieren zeigt sich das deutlich. Wir sind geschult, uns auf gewisse Weise vor der Kamera zu präsentieren und ahmen dabei Bilder nach, die uns täglich umgeben.
Bilder schaffen Realitäten, sie beeinflussen unsere Vorstellungen und formen unsere Kreativität. Ich empfinde Bilder als Mittel, um Normen zu vermitteln und uns zu zeigen, wie wir aussehen, fühlen, sein sollten. Diese Kraft von Bildern kann aber auch widerständig sein: sie kann dazu genutzt werden, um sich selbst auf eine bestärkende Weise zu sehen. Wird der Prozess des Fotografierens verlangsamt, wird mehr verhandelt, wie sich die beteiligten Personen fühlen und wie sie gesehen werden wollen. So kommen wir meiner Meinung nach zu einer freieren Art der (Selbst-)darstellung.
Was motiviert dich dazu, deine Fotografien zu queeren?
Portraitfotografie zu queeren, also zu unterlaufen und auf ihre Strukturen abzutasten, bedeutet für mich auch, Machtverhältnisse anzuschauen, welche mit dem Bildermachen einhergehen. Ich sehe mich selbst häufig und als normal repräsentiert, habe jedoch den Anspruch, mit weniger repräsentierten Menschen Bildern zu machen. Welche Macht bringe ich da in den Arbeitsprozess mit? Welche blinden Flecken wiederhole ich? Wie reproduziert meine Wahrnehmung bestimmte herrschende Muster?
Queer scheint dich momentan besonders zu beschäftigen – gab es für dich einen Klick-Punkt im Leben oder würdest du dein Interesse dafür eher als einen Prozess verstehen?
Ich würde meine Auseinandersetzung mit queeren Lebensentwürfen als Prozess bezeichnen, der eng mit meinem Begehren verknüpft ist. Ich hatte und habe die Möglichkeit, mit Leuten in Kontakt zu kommen, die an Fragen von Gender oder Feminismen dran waren und Auseinandersetzungen bei mir angestoßen haben.
Dass wir beispielsweise alle in ein System von zwei klar getrennten Gendern eingeordnet werden und damit unsere Möglichkeiten radikal begrenzt sind, war für mich ein umwälzender Gedanke und hat mir ermöglicht, meine gelebte Realität neu zu ordnen und mir zu überlegen, wie Widerstand und Aneignung aussehen kann.
Heteronormativität- also das Bevorzugen von Begehren zwischen zwei Menschen, die sich jeweils als weiblich und männlich verstehen – sind Strukturen, die meinem Selbstwertgefühl und meiner Sicherheit in die Quere kommen. Ich kenne zum Beispiel Situationen, in denen Menschen aggressiv reagieren, weil ich nicht in ihr Bild von Weiblichkeit passe.
Queer bezieht sich für mich aber nicht nur auf Begehren und Gender, sondern steht für Widerstand gegen Normen auf vielen Ebenen: Rassismus, Kapitalismus und Leistungsdenken, Kleinfamilie, Patriarchat und Sexismus. Diese Ebenen der Diskriminierung sind verwoben, und so kommt die Selbstdefinition als queer aus den Kämpfen von People of Colour und schwarzen Leuten, die in den 1960ern von Armut und rassistischer Polizeigewalt betroffen waren.Der Begriff queer, was ja eigentlich ein Schimpfwort ist, kann mir heute als Anhaltspunkt dienen, um mich mit Leuten zu vernetzen, die an ähnlichen Themen dran sind. Queere feministische Räume sind für mich zentral geworden, um mich zu stärken und meine Eingebundenheit und Handlungsmöglichkeiten zu verstehen.
Neben der Fotografie, beschäftigst du dich unter anderem mit Text, in dem Workshop „A space to dream – queere Anti-Utopien“ mit feministischer Sci-Fi Literatur. Wieso arbeitest du mit Utopien beziehungsweise Anti-Utopien und nicht mit der Realität?
Realität ist für mich wie ein geteiltes Projekt, an dem unzählige Menschen arbeiten und dabei mitunter in ganz verschiedene Richtungen gehen. Bei sozialen und politischen Kämpfen wird sichtbar, wie unterschiedlich Realität wahrgenommen wird, beeinflusst von Sozialisation, Erfahrungen oder Selbstpositionierung. Eingespannt in kapitalistische Verhältnisse haben viele von uns nie die Möglichkeit, sich nach Alternativen zu fragen. Träumen, fantasieren und experimentieren sind Privilegien, aber doch auch nötig, um sich Raum zu schaffen für die Frage, wie wir leben wollen, was wir brauchen und was uns antreibt.
Literarische Utopien und Dystopien sind vor allem im 20. Jahrhundert ein Genre, um Kritik an herrschenden Verhältnissen zu üben. So zum Beispiel in den 1960ern Marge Percy, US-Schriftsteller*in und Feminist*in in Ihrem Roman „Women on the edge of time“ , in dem sie Kritik am psychiatrischen System in den USA der 1960er übt. Sie beschreibt wie diese scheinbar objektiven und sehr mächtigen Institutionen dazu dienen, Menschen zu entmündigen, welche sich gegen rassistische und sexistische Gewalt zur Wehr setzen. Insofern enthält Percy’s Text eine bestimmte Realität, nur eben eine, deren Existenz nicht anerkannt wird. Als literarischer Text gekleidet, ist es möglich, Kritik zu äußern und Gegenentwürfe zur Sprache zu bringen, die sonst ungehört bleiben. In meinem Workshop beziehe ich mich vor allem auf schwarze Feministinnen und Feministinnen of Colour, wie Audrey Lorde. Sie beschreibt, wie sie sich durch poetische Sprache Raum für ihre Realität schafft, während ihr alle Welt erzählt, sie müsse ihre Welt doch anders ordnen, nämlich nach den Schemata weißer, männlicher, heterosexueller Positionen.
Inwieweit kritisiert die Gesellschaft die „herrschenden Bilder“? Hast du das Gefühl, dass immer mehr Menschen die Repräsentation im Hinblick auf Gender analysieren und hinterfragen?
Ich glaube, es hat sich Einiges verändert in der Wahrnehmung von Rollenbildern. So gibt es immer mehr Stellen wie die Werbewatchgroups, die sich mit Sexismus in Werbung und Medien befassen und auch große Kampagnen kritisch betrachten. Dann gibt es auch immer mehr Repräsentation von genderqueeren oder trans Menschen in Mainstream-Medien, die jedoch wieder in einer leicht vermarktbaren Form passiert. Das heißt, wenn schon die Kategorie Gender unterlaufen wird, ist die abgebildete Person doch besser weiß, schlank, jung und attraktiv. Ich denke, der Knackpunkt liegt darin, über die Wirkungsmacht von Bildern zu sprechen, wie beispielsweise unsere Vorstellungen von Schönheit von Bildern geprägt werden oder wie Bilder dazu beitragen, Menschen auf bestimmtes Verhalten immer wieder festzuschreiben. Bilder schaffen Möglichkeitsräume und wenn Menschen sich nicht repräsentiert sehen oder nur auf eine herabwürdigende Art und Weise, hat das ganz greifbare Folgen dafür, wie wir uns selbst sehen können.
Interview: Eleonora Han