Wenn es um tolle bzw. nicht so tolle Seiten des Internets geht, dreht sich die Diskussion oft um die politischen Implikationen. Genauso wie Donald Trump ohne Twitter nicht Präsident der USA geworden wäre, so hätte die AfD ohne ihre Vernetzung auf Facebook und Co. kein zweistelliges Ergebnis bei den jüngsten Bundestagswahlen erreicht. Die Schlagworte von Fake News und Filterblasen sind inzwischen allgemein bekannt.
Aber es gibt ja noch mehr im Leben als Politik. Macht es eigentlich einen Unterschied, wenn ich meinen Bedarf an Populärkultur per Netflix-App auf dem Smartphone in der S-Bahn decke und nicht mehr vor dem Fernseher mit einer Samstag-Abend-Show? Wenn ich für Filmkritiken keiner Zeitschrift sondern meinem Lieblingsyoutuber vertraue?
Unter dem Titel „Populärkultur 2.0“ referierte darüber Prof. Dr. Kaspar Maase im Herbst im Berlin. Gegenüber der kleinen Zuhörerrunde im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kulturdebatte im Salon“ der Hellen Panke sprach der langjährige Kulturwissenschaftler sogleich die eingeschränkte Faktenlage an. Die wissenschaftliche Aufarbeitung hinke der schnellen Entwicklung des Webs einfach hoffnungslos hinterher.
Immerhin könne man grob abschätzen: Von zirka 100 Internetnutzern produziert einer Content, an dem sich dann vielleicht zehn über das bloße Konsumieren hinaus zum Beispiel durch Kommentieren beteiligen. Dabei gilt: „If it is not shared, it is dead“. Für die Entertainmentindustrie sind Klick- und Teilzahlen in den Sozialen Medien der heiße Indikator für kommenden Erfolg und Trends.
Je größer eine Plattform, desto konformer, kommerzieller und mainstreamiger werde diese. Youtube habe bekanntlich mit einfachem nutzergeneriertem Content angefangen… bei heutigen Erfolgsformaten wie BibisBeautyPalace bleibe von der Idee eines demokratischeren, partizipativeren Medienkonsums in den Sozialen Medien wohl eher wenig übrig.
Außerdem leide die digitale Populärkultur ebenfalls an einer Überproduktionskrise. Altes und Neues ist in Massen verfügbar, der Tag hat aber weiterhin nur 24 Stunden. Die Musiker, Filme und Serien der Kindheit können nur einen Klick auf der Videoplattform entfernt sein – wirklich angucken würde man sich diese aber in den meisten Fällen dann doch nicht.
Darauf folgte allerdings ein Hinweis aus dem Publikum: Die angehende Jugend könne heute mittels Smartphones aus zehntausend verschiedenen digitalen Angeboten wählen – aber am nächsten Tag auf dem Schulhof würden sie dann dennoch über das gleiche Styling-Video von Lifestyle-Bloggerin XY reden.
Mit Rückgriff auf Antonio Gramsci könne man, so Maase, sagen, dass die junge Generation anstelle von hierarchischen Autoritäten lieber „Ihresgleichen“ vertraue. Genauer gesagt: Dem Lieblings-Blogger, von dem man glaubt, dass er seinesgleichen ist. Der digitale Influencer (ein noch nicht so anrüchiger Begriff wie Lobbyist) ersetzt den analogen Pfarrer oder Lehrer.
Ach ja, und was bleibt eigentlich in der digitalen Welt von der im linken Lager so vielgerühmten Eigentumsfrage übrig? Copyright-Rechte, betonte Maase, oder anschaulicher formuliert: Für wie viel Geld ich auf Spotify und Co. wie viel Musik bekomme.
Im digitalen Kapitalismus bleibt die Revolution also wohl weiterhin aus.
Maase zeigte sich dennoch optimistisch: Die Sharing-Mentalität und die horizontalere Kommunikation der digitalen Medien werde nicht mehr verschwinden. Die „Kollektive Vereinzelung“ müsse nicht zwangsläufig in Filterblasen enden. Die Möglichkeit zum schichtenübergreifendem Austausch bestünde zumindest, zum Beispiel über die gemeinsame Lieblingsserie per Facebook-Fangruppe. Austausch alleine habe zudem bereits einen Mehrwert, denn bekanntlich gingen zehn Menschen zusammen ins Kino und hätten danach zehn verschiedene Filme gesehen.
Als Exkurs ließ es sich der Sozialwissenschaftler, wohl zur Überraschung des mehrheitlich älteren Publikums, nicht nehmen, auf die „ultimative Kunstform unsere Zeit“ hinzuweisen: Computerspiele.
Denn diese böten nicht nur den Charakter eines Gesamtkunstwerkes, sondern auch die Möglichkeit, als Spieler selbst daran teilzuhaben. Die Einbeziehung des Nutzers, die sich durch das Aufkommen von Virtual Reality-Technologie (VR) noch verstärken werde, erzeuge ein „Selbstwirksamkeitserleben“. Ob es sich hier um eine revolutionären Schritt in der Geschichte der Kunst handelt, wollte Maase nicht abschließend beurteilen.
Von Maximilian Staude